Tristan Rain - Die Farbe der Stille

Eigentlich wollte er Musiker werden. Tristan Rain, aufgewachsen in einem Vorort von Basel, hegt schon früh Interesse an Klassischer Musik und Jazz. Er spielt Schlagzeug und Vibraphon. Sein Musiklehrer hält ihn für hochbegabt und fördert seinen jungen Schüler. Bildende Kunst entdeckt er dank einem seiner Zeichenlehrer und er beginnt sich mit allem was mit Kunst zu tun hat auseinanderzusetzen.

Mit einem Abschluss an der Kunstgewerbeschule in Basel im Fach Fotografie und einer Ausbildung in Architektur hätte er sich ein relativ bequemes Leben einrichten können. Doch der freie, rastlose Geist sucht etwas anderes: Den Duft der Welt. Aufenthalte in Wien und Berlin sind befreiend und inspirierend. In der Arbeit `Berliner Fenster´ untersucht er Orte wie den Potsdamer Platz. Urbane Knotenpunkte faszinieren ihn, die historischen Spuren und Überlagerungen der Großstadt.

Die Stadt aus der er nicht mehr zurückkehrt und in der er bis heute lebt, ist Paris.

Dort muss der junge Schweizer erst mal unten durch, lebt in Untermiete, hält sich mit allerlei Gelegenheitsjobs über Wasser. Nach einem Jahr hat er seine erste Einzelausstellung.

Die Bilder Mercator I und Mercator II, benannt nach dem berühmten Kartografen Gerhard Mercator, sind beeinflusst durch Messsysteme, Koordinaten und alte Schiffsrouten. Die Wege ins Ungewisse, die historischen sowie die persönlichen materialisieren sich in diesen Werken.

Die intensive Auseinandersetzung mit Farbe bringt Tristan Rain dazu, ihre physikalische Eigenschaften, ihre unterschiedlichen Wellenlängen und nicht zuletzt ihre psychische Wirkung zu untersuchen. So malt er konsequent ausschließlich in Blautönen. Sie sind kurzwellig, die Wirkung langsam, vermitteln Stille und Ruhe. Ganz im Gegensatz zu den alarmistischen lauten Farben der Grosstadt und der Werbung. Gerade diese konsequente Reduzierung der Farbpallette führt zu einem Ausloten unendlicher Möglichkeiten.

Strassenmarkierungsfarbe kommt in Tristan Rains Werken genauso zum Einsatz wie Quarzsand. Schicht um Schicht wird ein Bild aufgebaut und erhält so eine komplexe Oberflächenstruktur, die je nach Lichteinfall und Perspektive anders wahrgenommen wird.

In den Werken ´In-Between´ wirken die blauen Farbbänder am Rand wie Teile eines Objekts das sich außerhalb des Bilds befindet, nur um im nächsten Bildrand wieder aufzutauchen, allerdings immer nur als Fragment.

Tristan Rains Bilder brauchen Zeit – sie offenbaren sich nie auf den ersten Blick. Sie verlangen nach Neugier. Dafür wird der aufmerksame Betrachter belohnt mit einer Blickveränderung.

Er selbst geht dabei systematisch, beinahe wissenschaftlich vor.

Dem Zugrunde liegt ein hellwacher aufspürender Blick, und die immerwährende Sehnsucht des Künstlers die Welt in eine Ordnung zu bringen, Verbindungen und Zusammenhänge aufzuzeigen. Zu stabilisieren, was aus dem Gleichgewicht scheint und Verbindungselemente zu schaffen im scheinbaren sinnlosen Chaos unserer Existenz.

Was bleibt ist ein für immer kindliches Staunen um dem Wahnsinn und der Undurchsichtigkeit unserer Zeit etwas entgegenzusetzen mit dem wir leben können.


Interview Tristan Rain

P&T: Gab es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis in Ihrer Kindheit oder Jugend welches Ihr Interesse an Kunst geweckt hat?

TR: Meinen ersten Zugang zu den Künsten wurde mir durch die Musik vermittelt. Aber ich hatte einen Großonkel in Luzern, der malte und bei ihm roch es immer nach Ölfarbe und ich mochte diesen Geruch. Als Kind besuchte ich dann Zeichenkurse und lernte allerlei Techniken. In der Schule hatte ich einen Lehrer der mir nach Unterrichtsende Reproduktionen von berühmten Gemälden zeigte und ich staunte nicht schlecht, als ich mir bewusst wurde, dass diese Landschaften, Stilleben und Bildnisse nicht bloß geschickte Abbildungen waren, sondern vom Künstler komponiert und konstruiert wurden, etwa so wie musikalische Kompositionen. Ich begriff, dass Malerei kein Abbilden ist. Dass Malerei ein strategisch-emotional gefertigtes Konstrukt ist, das auf unsere Wahrnehmung einwirkt. Diese Entdeckung veränderte meinen Blick und mein Bewusstsein dauerhaft.

 

P&T: Was glauben Sie wie sich die Malerei in Zukunft entwickeln wird?

TR: Es läuft zur Zeit viel im Bereich Malerei und wir leben in einer sehr interessanten Zeit der Veränderungen. Das Grundprinzip der Natur ist Veränderung. Alles entwickelt und verändert sich ständig, auch die Kunst steht nie still.Mit den elektronischen Bildern und den digitalen Massenmedien verändern sich auch unsere Sehgewohnheiten und unsere Verwendung von Bildern. Viele Bilder heute sind schnell konsumierbare Produkte, die nicht aufmerksam betrachtet werden müssen und auch gleich wieder durch Neue ersetzt werden.

Es scheint mir nur natürlich, dass viele Künstler sich heute mit diesen Technologien auseinandersetzen und ihre Möglichkeiten und Grenzen ausloten. Ich denke allerdings auch, dass die elektronischen Bilder einfach nur eine weitere, neue, zusätzliche Technik darstellen. So wie einmal Druckgrafiken oder später Fotografie: beide haben die Vielfalt des künstlerischen Wirkens bereichert, ohne jedoch Zeichnung oder Malerei zu ersetzen.Der Betrachter schätzt mehr denn je ein echtes, physisch existierendes, einmaliges Objekt zum Betrachten und zum Erleben mitten in einer Welt von sich dauernd verändernder Computerbildern. Gerade heute sucht man wieder das Authentische. Beim Essen, beim Wein, bei der Kunst… sogar beim Einkaufen, wo der Supermarkt und Onlineshopping nicht mehr die befriedigendsten Lösungen sind.

Malerei ist eine unerschöpfliche Forschungsarbeit. Und das Aufzeigen des kreativen Prozesses scheint mir eine der dominierenden Tendenzen der neueren Malerei.

 

P&T: Sie haben mittlerweile Sammler auf der ganzen Welt. Haben Sie noch einen Überblick wo Ihre Werke überall hängen?

TR: ich halte mein Werkverzeichnis aktuell, deshalb weiß ich in vielen Fällen recht genau, wo die Werke sind. Und ich markiere auf einer Weltkarte jeden neuen Ausstellungsort und jedes neue Land, wo ein Werk hingeht, fast wie ein Weltreisender, bloß dass in meinem Falle meine Werke verreisen und nicht immer zurückkommen. Bisher verkaufte ich meist an private Sammler und in Firmensammlungen. Das erlaubt auch einen schönen Dialog, man hat ein Feedback und man bleibt auch meistens in Kontakt, wenn auch nur um die Weiterentwicklung des Werkes zu verfolgen.

 

P&T: Auch der Kunstmarkt hat sich mit der Digitalisierung stark verändert. Jeder kann seine Werke online anbieten. Wie wichtig sind für Sie noch Galerien?

TR: Galerien sind seit einem Jahrhundert die wirtschaftlichen Geschäftspartner der Künstler. Sie vermarkten die Kunst, finden die passenden Sammler, vermitteln an Institutionen. Bloss haben heute viele Galerien zuviele Künstler im Programm und können sich gar nicht richtig um sie kümmern. Aber wie Sie richtig bemerken hat sich auch der Kunstmarkt duch die Digitalisiereung stark verändert und viele Kunstschaffende zeigen und vermarkten ihre Werke nun selber und unabhängig. Die Online-Präsenz der Künstler mit Webseite, Facebookseite, Instagram, usw. ist unumgänglich geworden. Ein Künstler der da heute online nicht dabei ist, ist wirklich nicht dabei. Denn da wird auch ein großer Teil der Kommunikation betrieben. Der Schritt von der Onlinepräsenz zur Onlinegalerie ist nicht weit und deshalb gibt es so viele davon. Ich finde dass man diese neue Form der Vermarktung nicht ausschließen sollte. Galerie und Onlinegalerie haben einfach nicht die gleichen Funktionen. Ein Online-Showroom ersetzt weder die Arbeit des Galeristen, noch „Echt-Ausstellungen“, kann aber viel zur internationalen Anerkennung eines Künstlers beitragen.

Bloß wer kauft sich schon ein Gemälde oder eine Skulptur ohne das Material, die Dimensionen, die Reaktion aufs Licht erlebt zu haben? Also bei meiner Arbeit mit den strukturierten Oberflächen meiner Gemälde vermittelt eine noch so gute fotografische Abbildung nicht mehr als einen ersten und sehr eingeschränkten Eindruck. Man muss schlussendlich einfach vor dem Werk stehen, es erfahren können. Ein Werk lebt auch von seinem Format und seiner Präsentation.

Von meinen fotografischen Werken sind Abbildungen selbstverständlich zuverlässiger. Aber man soll bedenken, dass jeder Bildschirm die Farben anders zeigt.

Es ist übrigens auch ganz gut, dass man nicht alles digitalisieren und ersetzen kann. In der Malerei macht das Originals weiterhin Sinn. Kunst ist eben auch im digitalen Zeitalter etwas Besonderes, bei dem es um Qualität, Überraschungen, Emotionen und Sehgewohnheiten geht, die man in Frage stellen kann und soll.

P&T: Glauben Sie dass sich Ihre Wahrnehmung durch die Geburt ihres Sohnes verändert hat und wenn ja inwiefern?

TR: Kinder haben ja bekanntlich eine äußerst intensive Wahrnehmung und wir Erwachsenen stellen fest, wie oberflächlich unsere Wahrnehmung geworden sind. Wir erkennen Objekte und verstehen mehr als dass wir wirklich hinschauen. Kunst kann helfen diesen reicheren Blick wieder etwas zu entwickeln und zu verhindern, dass er uns nicht ganz abhanden kommt. Wenn ich manchmal sehe wie intensiv und vielschichtig mein Sohn Sachen betrachtet und wahrnimmt, sei das im städtischen Raum, in der Natur oder vor Kunstwerken, bin ich erstaunt. Da wird einem bewusst was eigentlich alles zu sehen ist! Er hat einen sehr guten Blick auf die Kunstwerke, sieht schon mit Sechs und Sieben welches die gelungeneren Werke in einem Ausstellungssaal sind. Diese Generation ist schon verblüffend.

 

P&T: Sie leben seit 25 Jahren in Paris. Wie wichtig ist es für Sie in einer Großstadt zu leben?

TR: das Leben in der Großstadt ist für mich und für meine Arbeit von großem Wert. Ich bin in Basel, einer kleinen Stadt mit einem reichen Kulturangebot und großartigen Museen aufgewachsen. Die Sammlungen des Basler Kunstmuseums und Ausstellungen der Kunsthalle Basel und des Museums für Gegenwartskunst haben mich schon früh begleitet. Aber als ich nach Paris kam, hatte ich sehr bald das Gefühl MEINEN idealen Ort gefunden zu haben. Paris ist zwar nicht gerade riesig und ist durchaus überschaubar, aber die Vielfalt der Viertel, die reichhaltige Geschichte mit ihren Spuren und Überbleibseln, der kosmopolitische Reichtum dieser Stadt, die Kunstsammlungen und Museen aller Art, nicht zu vergessen die großartige französische Küche (und die aus aller Welt) bilden ein Ganzes, das mich seit nun schon 25 Jahren begeistert, verblüfft, und mir gut tut. Ich gehe durch diese Stadt und ergötze mich an ihrer Schönheit und an ihrer Dynamik.

Meine Arbeit entsteht zwischen Paris, Berlin und Stockholm, Paris ist jedoch weiterhin meine ideale Stadt, wo ich mich wohl fühle und wo ich ideale Arbeitsbedingungen finde.

 

P&T: Sie malen mehrheitlich mit Farben im Blauspektrum. Wie sind sie auf die Idee gekommen sich mit den physikalischen Eigenschaften von Farben auseinanderzusetzen?

TR: Ich wollte eigenständige Werke schaffen, Werke die niemandem direkt und sichtbar verpflichtet sind und aus mir selbst kommen. Interessante Werke, die bewusst auf die menschliche Wahrnehmung wirken und die einem aufmerksamen und offenen Betrachter mehr als ein meisterhaftes, geschlossenes Bild liefern sollen.

Dazu waren mir auch meine Erfahrungen aus der Architektur dienlich: wie Farbe auf Menschen im täglichen Leben wirkt und was sie auszulösen vermag. Ich habe mich dann mit den physikalischen und philosophischen Aspekten auseinandergesetzt, also was Farbe genaugenommen ist, wie Farben funktionieren, wie sie wahrgenommen werden, wie sich ihre Bedeutung durch die Jahrhunderte und in den verschiedenen Kulturen entwickelten und veränderten. Meine spezifische Blau, aber auch die Blaugrün entsprechen meinen Bedürfnissen und dominieren mein Schaffen seit 1996.

Um 2009 stieß ich auf ein kluges indisches Sprichwort: „Wenn du nur Grau siehst, vertreibe den Elefanten“. Da habe ich eine Zeit lang (2009-2014) das Spektrum auf Grau reduziert, also auf eine Farbe die eigentlich keine wirkliche Qualitäten hat. Grau ist eine Farbe von Langeweile, von Kompromissen, von Routine, von Unerwünschtem im Leben. Grau ist eine Farbe, die man eher nicht mag. Die Werke „Strange Behavior“, „Wide Angles“, „Transmission“, „Opportunity to Fail“, „It has to suit me“ loten ein interessantes Potenziell aus. Das war sehr interessant und dazu hin auch noch ein Erfolg. 2014 gings wieder weiter mit Ultramarin.

 

P&T: Mehrteilige Werke. Warum?

Von Fragmenten fasziniert, von der unvollständigen Wahrnehmung, habe ich bald begonnen unvollständige Bilder zu komponiere,n. Als würde man nur Ausschnitte von etwas viel Größerem sehen. Und dann habe ich diese Ausschnitte verschoben, sodass man also nicht mehr unbedingt das wichtigste sieht, das Sujet, sondern vielleicht die Zone gleich daneben. Bei Diptychen oder Triptychen, also mehrteiligen Werken ist klar sichtbar, dass da im Zwischenraum ein Teil fehlt. Das Auge schafft aber Verbindungen, vergleicht, vervollständigt. Der Betrachter wird einbezogen, er wird aktiv.

Der nächste Schritt, neben der Reduktion der Farbpalette war die Arbeit am Format selber. Ich machte ein Menge Bilder, Gemälde und Fotowerke, in sehr ungewöhnlichen, sehr schmalen, hohen Formaten : „Torse lent“, „Dialoge“, „Transparences“...

 

P&T: Wie sehr ist Ihre Malerei von Fotografie und Film beeinflusst?

TR: Ich habe in Paris einen Lehrauftrag in Kunst-und Filmgeschichte und ich halte seit Jahren Vorträge in diesem Bereich. Die Auseinandersetzungen mit Film haben meine Arbeit selbstverständlich beeinflusst: Kameraführung, Komposition, wie man dem Betrachter zeigt wann er wo was sehen soll, wie man Emotionen erzeugt, indem man etwas nicht zeigt.

Von Film wurden auch gewisse fotografische Werke beeinflusst. In Werken wie „Hunt down“, „Majority of One“, „Pirates“, „Screening“, u.a. … verwende ich historische Filmdokumente, die ich digital verfremde, umkopiere und dann projektiere und wieder fotografiere. Für die Werke „Anaphore“ zum Beispiel bewegte sich die Fotokamera auf einer vorbereiteten Piste um das Objekt, also wie eine Kamerafahrt. In beiden Fällen erfährt die Fotografie die Bereicherung des bewegten Bildes, bleibt aber Fotografie.

Fotografie war für mich anfangs eine Technik, die parallel zur eigentlichen Arbeit erlaubte, alternative Problemlösungen zu finden. Mit der Zeit wurden meine fotografischen Untersuchungen aber selbständige Werke. Beide Techniken entwickeln sich seit etwas 2002 parallel zueinander und befruchten sich heute gegenseitig.

 

P&T: Was sind ihre nächsten künstlerischen Projekte?

TR: Durch die Coronakrise ist einiges durcheinandergeraten und die meisten Projekte wurden abgesagt oder auf ein unbekanntes Datum verschoben.

Meine Beteiligung an der hier ziemlich wichtigen Biennale de Gentilly findet zur Zeit deshalb virtuell statt, im August zeige ich Screens mit Fotostelen in Zürich und ich machte einen Kurzfilm für ein Festival, das wohl eher im Herbst stattfinden wird.

Ich wollte und konnte aber die Zeit der Ausgangssperre nutzen. Die war hier sehr streng und verwandelte Paris in eine leere, stille, abgestellte Stadt mit menschenleeren Straßen und sauberer Luft. In dieser Zeit wurden zwei große Diptychen vollendet, die „Transfer“ und ich arbeite zur Zeit im Atelier an der neuen Werkgruppe „Jardin clos“. Daneben entstanden noch zwei figürliche Bilder des Isolation. Ich entwickle meine Forschungen an geknickt verdrehten Raumillusionen weiter. Die scheinen mir ganz interessant und ich bin ungeduldig in diese Richtung weiter zu arbeiten. Es geht ja erst richtig los!

 

P&T: Danke fürs Gespräch.